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Jesus, Mensch oder Mythos
#5

Nazareth: Das sind einige Hütten aus Steinmauern, isoliert mit Stroh, Lehm und Dung. Ein paar Zisternen, eine Quelle, ein paar Mühlsteine und Kornspeicher. Neben den Hütten, an den Berghängen, Weinstöcke, Getreidefelder, Olivenbäume. Das zumindest ist alles, was Archäologen aus jener Zeit rekonstruieren können.
Gerade mal 400 Menschen werden hier gelebt haben. In wenigen Minuten wird man durch das ganze Dorf gewandert sein, auf staubigen Wegen, denn keine Straße ist gepflastert. Kein einziges öffentliches Gebäude aus dieser Zeit ist bekannt. In der Bibel wird eine Synagoge erwähnt, doch das wird ein Hof oder ein großer Raum in einer der Hütten gewesen sein.
Allerdings hat der amerikanische Archäologe Richard Freund im Sommer 2003 die These aufgestellt, ein im heutigen Nazareth schon länger bekanntes, unterirdisches Gewölbe sei einst Teil einer römischen Therme gewesen, ein Badehaus für Legionäre. Für Freund ein Indiz, dass Nazareth zur Zeit Jesu Stützpunkt für ein paar Hundert römische Soldaten war - und damit nach den Maßstäben der Epoche eine recht bedeutende Stadt.
Martin Peilstöcker, ein deutscher Archäologe in der Israelischen Antikenverwaltung, ist dagegen, wie die meisten Fachleute, skeptisch: Die These seines US-Kollegen sei ein "frommer Wunsch”, die Ruine könne man gar nicht mehr genau datieren, wahrscheinlich aber stamme sie aus der Zeit der Kreuzfahrer.
Eines der Häuser in Nazareth wird Joseph gehört haben und dessen Frau Maria. Jesus (aramäisch: Jeschua, "Gott hilft”) ist der älteste Sohn. Er hat vier Brüder - Jakobus, Joses, Judas, Simon - und mindestens zwei namentlich nicht bekannte Schwestern. "Tekton” sei Joseph gewesen, berichten die Evangelien, was unzureichend mit "Zimmermann” übersetzt wird. "Baumeister” wäre besser - ein Handwerker, der mit Steinen und Stroh genauso umgehen kann wie mit Holz. Und vielleicht wird nicht einmal das dem Beruf gerecht. Griechische Dokumente jener Epoche - etwa Rechnungen und Verwaltungsberichte - erwähnen einen Tekton auch beim Schleusenbau, bei der Instandhaltung von Schöpfrädern oder der Ausbesserung eines Sattels. Jesus wird, als erstgeborener Sohn, das Handwerk seines Vaters erlernt haben. So, wie es die Tradition vorsieht.
Was sonst seine Kindheit, seine Jugend, seine frühen Erwachsenenjahre bestimmt - alles Spekulation. Nichts davon ist in den Evangelien zu finden, nicht einmal, wie Jesus ausgesehen hat (die ersten Bildnisse werden einige Jahrhunderte nach der Kreuzigung gemalt).
Wird ein Tekton in einem Weiler wie Nazareth sein Auskommen finden? Wohl kaum. Also kann man vermuten, dass Joseph - und dann, als sein Gehilfe, auch Jesus - im benachbarten Sepphoris gearbeitet hat. Diese Stadt nämlich wird nach der Verwüstung durch Varus prachtvoll wieder aufgebaut.
Jesus kennt also möglicherweise aus eigener Anschauung den Prunk einer hellenistischen Stadt. Vielleicht lernt er auch Griechisch, zumindest rudimentär.
Andererseits kann er, wie wohl all seine Mitbürger in Nazareth, nur in gewissem Umfang lesen und schreiben. In der Synagoge werden ihm Ältere die Geschichten der Thora und die Weissagungen der Propheten erzählt und er wird sie auswendig gelernt haben.
Das alles ist zwar nicht beweisbar, aber plausibel, weil es so oder ähnlich in unzähligen Fällen vorkam, weil die Söhne in Galiläa eben so aufwuchsen.

Was aber ist das Ungewöhnliche? Wer oder was treibt Jesus schließlich hinaus aus Nazareth? Was formt ihn in den immerhin gut 30 Jahren, die er dort verbracht hat?
Die Sadduzäer und die Priester werden sich weder für Nazareth noch für seine Bewohner je interessiert haben. Den Rigorismus der Pharisäer wird Jesus später immer kritisieren - unwahrscheinlich, dass er ihnen je nahe gestanden haben könnte.
Ist Jesus Essener gewesen? Ein reizvoller Gedanke, dass es den jungen Mann aus Galiläa, beseelt von religiösen Idealen, irgendwie von Nazareth bis ans Tote Meer nach Qumran verschlagen haben könnte, wo er die Schriften studiert hat. Tatsächlich glauben die Essener, wie es auch Jesus später predigen wird, an die baldige Herrschaft Gottes. Allerdings erst für die nahe Zukunft, während er sie bereits in der Gegenwart angebrochen sieht. Und den Essenern sind der Tempel, das Priestertum, die kultische Reinheit wichtig - Themen, die Jesus eher gleichgültig sind. Die Essener sehen sich als Elite der Reinen, Jesus dagegen wird sich später den Unreinen, den Zöllnern und Prostituierten zuwenden.
War er also vielleicht ein Zelot? Auch diese politischen Eiferer geben ja gerade den Armen, den Verachteten Hoffnung. Und sie sind, wie Jesus, zum Martyrium, zum Tod für ihre Sache bereit. Doch sie kämpfen und morden dafür - was Jesus um jeden Preis ablehnt.
Sind Jesus die radikalen Positionen möglicherweise durch die Umstände seines Lebens aufgezwungen worden? Der (unter Fachkollegen allerdings umstrittene) Theologe Gerd Lüdemann interpretiert eine Passage im ältesten Evangelium so. Markus (der im übrigen über Geburt und Jugend Jesu kein Wort verliert) berichtet, wie Jesus später in Nazareth predigt und ihn seine ehemaligen Mitbürger "Sohn der Maria” nennen. Das, so der deutsche Forscher, sei auffällig, denn üblich sei in jener Zeit die Vatersbezeichnung, also "Sohn des...” Gilt Jesus deshalb in Nazareth doch nicht als Sohn des Joseph?
Ist er also ein illegitimes Kind, ist seine Mutter bei seiner Geburt noch unverheiratet gewesen? Für die Nazarener wäre dies ein Zeichen vorehelicher Sünde. Hätte dies nicht dazu geführt, dass Jesus in jenem winzigen Dorf von allen als Außenseiter angesehen wurde? Und würde das nicht erklären, wieso er sich später gerade den Außenseitern zuwandte und die Eliten so scharf ablehnte?
Einigermaßen sicher ist nur, dass Jesus, wohl im Jahre 28 oder 29, etwas Unerhörtes tut: Er verlässt seine Familie. Joseph ist um diese Zeit wahrscheinlich schon tot, zumindest wird er in den Evangelien danach nicht mehr erwähnt. Wenn der Vater aber verstorben ist, hat der älteste Sohn die Pflicht, für die Mutter und die Geschwister zu sorgen.
Wer seine Familie in dieser Situation verlässt, der verstößt gegen das vierte Gebot und verhält sich nach den Maßstäben der Zeit so unmoralisch und rücksichtslos wie ein Mörder oder Ehebrecher. Vor allem seine Brüder scheinen Jesus dies nicht verziehen zu haben. Als er schon bekannt ist, gehen, so berichtet Markus, "die Seinen aus und wollten ihn halten; denn sie sprachen: Er ist von Sinnen”.
Die Althistoriker werden wohl niemals erfahren, weshalb Jesus damals Nazareth verlassen hat - aber die Evange-lien berichten, wohin er ging: zu Johannes dem Täufer. Der ist einer jener Prediger aus dieser unruhigen Zeit: ein Prophet, der am Jordanufer vor dem drohenden Weltengericht warnt - und nur den Bußfertigen, die sich von ihm taufen lassen, die Ewigkeit verspricht.
Dem Lukas-Evangelium zufolge tritt Johannes "im fünfzehnten Jahr des Kaisertums Kaisers Tiberius” auf, wahrscheinlich zwischen Herbst 28 und Herbst 29. Die Evangelisten berichten über ihn, ebenso Flavius Josephus. Schnell scharen sich Anhänger um den Mann, der am Wüstensaum über das Ende der Welt predigt - und über die moralischen Verfehlungen des Herrschers. Doch der ständig drohende Aufruhr im Land wird Johannes zum Verhängnis. Aus Angst vor dem demagogischen Talent des Täufers lässt Herodes Antipas den selbst ernannten Propheten kurzerhand exekutieren.
Da ist Jesus aber bereits weitergezogen. Für eine kurze Zeit, vielleicht nur ein paar Wochen, gehört der Mann aus Nazareth zu den Anhängern des Johannes. Er lässt sich von ihm taufen, doch wohl unmittelbar danach löst er sich von ihm. (Jesus selbst hat nie jemanden getauft.)

Im Frühjahr 29 verkündet in Galiläa ein neuer Prediger seine Botschaft.

- Ɖα Ƥσϰϰϰϰ ƨι∂ɛ σғ ˩ιғɛ -
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Jesus, Mensch oder Mythos - von Poxxxx - 26.07.2007, 08:32

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