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Jesus, Mensch oder Mythos
#3

Um die Zeitenwende leben etwa 400000 Juden in ihrer Heimat, verteilt vor allem auf zwei Regionen: Judäa, das Land rund um Jerusalem, vom Jordan bis zum Mittelmeer, und Galiläa, der kaum 40 Kilometer durchmessende Landstrich westlich des Sees Genezareth. Ihr Herrscher ist Herodes der Große, ein Emporkömmling mit heidnischem Vater und jüdischer Mutter, der sein politisches Schicksal an das Roms gekettet hat: Der römische Senat hat ihm den Titel "König von Judäa” verliehen; an Rom führt Herodes einen Teil der Steuern ab; römische Legionen aus der Provinz Syria können binnen Tagen in Jerusalem stehen, um ihn vor Aufständen zu schützen - oder bei Unbotmäßigkeit abzusetzen. Für Rom ist es militärisch und finanziell günstiger, einen unruhigen Landstrich wie Judäa durch einen einheimischen Klientelkönig regieren zu lassen.

Für die Juden sind es Jahrzehnte einer dreifachen Krise:
* Politisch, weil sie von Herodes und damit letztlich von Rom beherrscht werden.
* Kulturell, weil die griechisch-römische Zivilisation mit ihren Göttern, ihrem Handel, ihrer so ganz anderen Lebensweise (die sich beispielsweise weder um den Sabbat noch um Essensgebote schert) in Judäa und Galiläa vordringt.
* Religiös, weil das auserwählte Volk Gottes offensichtlich von ebenjenem Gott verlassen worden ist. Weshalb würde es von den Römern sonst so gedemütigt?
Wie aber kann es wieder erlöst werden?
Auf diese Frage gibt es viele Antworten - und auch das macht die Lage im Land so unübersichtlich, so explosiv. Denn die Juden sind keineswegs geeint.
Die Sadduzäer etwa stellen die traditionelle Elite des Volkes - jene Familien, aus denen der Hohepriester des Jerusalemer Tempels stammt und die den lokalen Adel stellen. Sie empfinden sich als Hüter der Tradition. Apokalyptische Spekulationen lehnen sie ab. Und mit Rom haben sie sich arrangiert - aus ihren Reihen stammen die Würdenträger, die mit der Besatzungsmacht kooperieren. Im Volk sind sie verhasst.
Geachtet sind die Pharisäer. Sie stellen die meisten Schriftgelehrten - Männer, welche die Bücher Mose und der Propheten lesen und aus ihnen auch die Gesetze für die Gegenwart ableiten (wird das Sabbatgebot verletzt, wenn man an diesem Tag einem Kranken hilft?). Sie sind eine Elite schon deshalb, weil sie die heiligen Texte studieren.
Noch elitärer, noch strenger geben sich die asketischen Essener, deren Zentrum wohl die klosterähnliche Anlage von Qumran am Toten Meer ist. Sie sehen sich als die Auserwählten des auserwählten Volkes, als die Einzigen, die, rein im Glauben, dereinst errettet werden.
Die Sicarii und die Zeloten setzen dagegen nicht nur auf Schriftstudium und kultische Reinheit, sondern auf Gewalt und Mord. Sie kämpfen mit der Waffe für die Befreiung ihres Volkes. Sicarii - die sica ist ein kurzer Dolch - schleichen sich am helllichten Tag in Jerusalem an vornehme Juden heran, die mit den Römern kooperieren, und stechen sie nieder.
Daneben ziehen selbst ernannte Propheten, Wundertäter und Magier durch die Städte und Dörfer, manche mit kleinen Anhängerscharen, andere ganz allein.
Gemein ist all diesen Gruppen, mit Ausnahme der Sadduzäer, dass sie sich mehr oder weniger nah am Vorabend der Apokalypse wähnen. Es wird, glauben sie, bald den Endkampf geben, die finale Schlacht Gottes gegen das Böse, die mit der Befreiung Israels gekrönt werden wird. Ein Erlöser wird erscheinen, vielleicht schon morgen.
In diesem unruhigen Land sorgt Herodes seit dem Jahr 37 v. Chr. im Auftrag Roms für Ruhe. Mit Gewalt setzt er seine Politik, seine Bauvorhaben, seine Steuern durch; beim ersten Verdacht auf Widerstand droht die Hinrichtung. So lässt der König sogar sieben eigene Söhne ermorden, weil er sie für Verschwörer hält.
Doch als Herodes Ende März oder Anfang April des Jahres 4 v. Chr. stirbt, droht dem Land ein Flächenbrand. An vielen Orten sammeln sich Unzufriedene; Aufstände brechen los. Der Kaiser muss Truppen entsenden - und fügt das Land enger ins Imperium ein: Galiläa und die Nachbarregion Peräa werden nach mehrjährigen Wirren von Herodes Antipas beherrscht, einem der wenigen Söhne Herodes des Großen, die allen Nachstellungen entgangen sind. Judäa wird seit 6 n. Chr. von einem römischen Präfekten regiert.
Während dieser Wirren ziehen Legionäre durch Galiläa. Ihr Kommandant ist Publius Quinctilius Varus, jener Feldherr, der 13 Jahre später bei der "Schlacht im Teutoburger Wald” in Germaniens Wäldern untergehen wird. Varus zerstört auch die prachtvolle Stadt Sepphoris. Wäre seine Legion danach in Richtung Süden abgeschwenkt und rund eine Stunde marschiert, hätte sie möglicherweise ein abgelegenes Bauerndorf verwüstet - und die Weltgeschichte wäre anders verlaufen. Denn jener Weiler am Ende eines engen Tales ist Nazareth.
Als die Legionäre die Nachbarstadt Sepphoris plündern, ist Jesus von Nazareth, so vermuten die meisten Forscher heute, einige Monate alt.


Ein jeder kennt die Weihnachtsgeschichte von Lukas: Joseph und Maria brechen von ihrem Heimatort Nazareth gen Bethlehem auf, da der römische Kaiser eine Steuerschätzung befohlen hat und sich jede Familie dafür zu ihrem Stammsitz begeben muss. Dann die Geburt im Stall und die Anbetung der Hirten. Die Lukanische Geschichte ist datierbar - und leider falsch.
Dank mehrerer antiker Quellen wissen Althistoriker, dass die Steuerschätzung tatsächlich angeordnet worden ist - zwischen den Jahren 6 und 8 n. Chr. Lukas berichtet, dass Jesus ungefähr 30 Jahre alt ist, als er erstmals predigt. Sein öffentliches Wirken dauert mindestens ein Jahr, dann wird er gekreuzigt. Sollte er tatsächlich im Jahr der Steuerschätzung geboren sein, müsste die Hinrichtung frühestens 37 stattgefunden haben. Pontius Pilatus aber, der Präfekt, der ihn ans Kreuz nageln lässt, wird bereits im Jahr 36 nach Rom zurückgerufen. Die Geschichte kann also nicht stimmen.
Matthäus überliefert eine andere Version: Jesus wird in Bethlehem geboren. Doch dann ordnet Herodes nach dem Auftreten der drei Weisen die Ermordung aller Kinder unter zwei Jahren in seinem Reich an. Die Familie flieht, wartet im ägyptischen Exil den bald darauf erfolgten Tod des Despoten ab, kehrt zurück und lässt sich diesmal in Nazareth nieder.
Heidnische und jüdische Chronisten überliefern viele Beispiele der Gewalttätigkeit des Herodes, doch über einen Massenmord an Kindern berichtet niemand. Auch dies, vermuten die meisten Theologen heute, ist eine fromme Legende.
Aus Bethlehem nämlich, verkündet der Prophet Micha, werde dereinst der Erlöser kommen. Nazareth dagegen ist ein so unbedeutender Weiler, dass er im Alten Testament nicht ein einziges Mal erwähnt wird. Die meisten Wissenschaftler vermuten deshalb, dass Matthäus und Lukas ihre Geschichten erzählen, um das Wirken Jesu den alten Prophezeiungen anzupassen.
Sie erzählen auch von der Jungfrauengeburt - aus ähnlichen Motiven: Bei den Griechen und Römern galten außergewöhnliche Menschen als Abkömmlinge eines Gottes mit einer (Jung-)Frau. Vom Sagenhelden Herakles wurde das berichtet, aber auch von großen Herrschern.
Die wohl ursprünglich von den ersten Christen überlieferte Version schimmert noch, gleich einem Palimpsest, durch das Matthäus-Evangelium hindurch. Das beginnt nämlich: "Dies ist das Buch von der Geburt Christi, der da ist ein Sohn Davids, des Sohnes Abrahams.” Um danach all seine Vorväter aufzuzählen - bis hin zu Joseph. Diese Aufzählung ist nur dann sinnvoll, wenn Jesus einst als leiblicher Sohn Josephs angesehen wurde. Tatsächlich wird Jesus wohl als Sohn Josephs in Nazareth geboren worden sein. Und vermutlich, da es dafür mehrere Überlieferungen gibt, in der Endzeit des Herodes, also kurz vor dem Frühling des Jahres 4 v. Chr.

- Ɖα Ƥσϰϰϰϰ ƨι∂ɛ σғ ˩ιғɛ -
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Jesus, Mensch oder Mythos - von Poxxxx - 26.07.2007, 08:32

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